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Texte zum Konzert 5. 5., 17 Uhr
Der Ameisenhaufen, von innen
1. Wechselsatz, durch alle Tonarten (für Tom Johnson), 2. Keimlinge, vier
kleine Mysterien (für Ivan Vyschnegradskij), 3. Trauben, gefiltert
(für György Kurtág), 4. Verwandlung, atonal-tonal
(für Joseph Matthias Hauer), 5. Wendung, gespreizt (für Urs Peter
Schneider), 6. Torkeln, präzis (für Viktor Jekimovskij), 7.
Zentrum, angenähert (für Peter Streiff), 8. Carillon, über den
dreizehnten Ton (für Julian Carrillo), 9. Traum, erinnert (für Regina
Irman).
Tatsächlich mutet mich das Sechzehnteltonklavier wie ein Ameisenhaufen an: Von
Weitem ist sein Umfang klein, und darin wuselt es von kleinsten Intervallen. Diese
neun Miniaturen aber lassen die Ohren der Zuhörenden kleiner werden und die
Intervalle wachsen. So bieten sie Gelegenheit, in einige dieser mikroskopischen
Strukturen einzudringen und sie von innen" anzuhören.
Trotz ihrer Kürze sind diese Kompositionen nicht fragmentarisch, sondern in sich
abgeschlossen. Jede ist einem Komponisten oder einer Komponistin gewidmet, weil in ihr für mich
ein Aspekt von deren kompositorischen Haltungen aufscheint oder kommentierend
beleuchtet wird, oder einfach, weil es mich an deren Musik oder an die Person selber
erinnert. Nur in Nummer 5 (Wendung, gespreizt) wird explizit Material aus einer
Komposition des Widmungsträgers verwendet.
Außer dem dritten Stück, das mit Clustern arbeitet, beruht die Harmonik auf
höchstens sechs Intervallen mit einfachen ganzzahligen Schwingungsverhältnissen,
die mit Sechzehnteltönen gut angenähert und frei transponierbar wiedergegeben
werden können. Die zwischen diesen Intervallen auftretenden Kommata ergeben
eine fein abgestufte, mikrotonale Tonhöhenstruktur.
Campi Colorati
Zu Beginn der achtziger Jahre arbeitete ich in einem elektronischen Studio und
entdeckte durch minimale Veränderungen der Geschwindigkeit eines Tonbandes,
daß Klavierklänge mikrotonal transponiert werden können. Diese
Erfahrungen flossen in meinen dreiteiligen Klavierzyklus Campi Colorati ein,
wobei ich erstmals die Tonhöhen eines Klaviers veränderte und
während längerer Zeit auf einem schnell umstimmbaren Instrument nach
neuen Möglichkeiten suchte. Alles Suchen war darauf ausgerichtet, mit der
neuen Stimmung auch wirklich komponieren zu können. Es war nicht meine
Absicht ein Tonhöhensystem zu erfinden, das nun genau der Natur"
entspräche (z.B. reine Stimmung) oder allgemeine Gültigkeit erlangen
sollte. Das Resultat war eine ungleichstufige Skala: Eine Mischung aus Sechstel-,
Drittel- und Ganztönen, ohne reine Quinten und Quarten, aber mit
konsonanten Naturseptimen und reinen Oktaven. Die Ganztonleiter bleibt
temperiert bestehen (C D E Fis Gis Ais). Die Töne Des Es F werden um
einen 1/3 Ganzton erniedrigt (66 Cents), die Töne G a H werden 1/3
Ganzton erhöht gestimmt und in alle Oktavlagen übertragen. Die
kompositorische Grundlage bildete das forschende Ohr, das die neuen
Schwingungsfarben der Intervalle und Akkorde auf die Felder (Campi) des
Instrumentes verteilte.
Veränderte Luft
Die dreiteilige Komposition beruht auf einer Stimmung, in der sämtliche
Töne des Klaviers leicht verändert werden. Die Mutationen der
Frequenzen betragen 1 bis 44 cents höher oder tiefer (also annähernd
ein Viertelton) und ergeben eine Vielfalt von differenten Intervallen. Das
Resultat der Skordatur ist wie eine leichte Bewegung mit der Hand durch eine
regelmäßig organisierte Struktur. Der Hauptteil beschäftigt
sich mit den verrückten Quinten und Oktaven, die sich in größeren
harmonischen Gebilden verbinden und wiederum lösen. Der langsame Prolog und
der schnelle Epilog bestehen aus den 88 Tonhöhen des Klaviers, zuerst als
harmonische Kugeln" und zum Schluß als additive Punktreihe" in schnellem,
kontinuierlichem Tempo.
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