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  Presseerklärung

Brauchen wir ein anderes Tonsystem? Gibt es ein Melos der Fehler? Was hat damit die Witwe des päpstlichen Pelzhändlers zu tun? Und, besteht ein Zusammenhang zwischen den tonalen Kollisionen im genormten, gleichstufig temperierten System und der Vereinzelung der Töne?

Man kann empfinden, daß die morsch gewordene temperierte Stimmung eine glanz- und farblose, künstliche Atonalität der Töne etabliert hat. Anders nimmt sich dagegen die lebendigere Schönheit der harmonischen Teiltonverschmelzungen aus. Anders auch die mehrdimensionalen Farben und Empfindungen der höherstufigen Intervalle. Nach dem Ende des Jahrhunderts atonaler Musik widmen sich die vom 4. bis 6. Mai 2001 im Berliner Musikinstrumenten-Museum stattfindenden Konzerte und Vorträge des Festivals „One does not find free vibrating air just anyplace“ der Öffnung entfernterer harmonischer Regionen und einer unbeschränkten Emanzipation der Konsonanzen.

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts regte der in Berlin wirkende Komponist und Pianist Ferruccio Busoni eine Erweiterung des temperierten Tonsystems in Hinsicht auf Mikrointervalle an. In den zehner und zwanziger Jahren versuchten dann unabhängig voneinander Alois Haba und Ivan Vyschnegradskij ein System mit Viertel- und Sechsteltönen kompositorisch fruchtbar zu machen. Doch blieben diese Versuche bis in die siebziger und achtziger Jahre fast ohne Resonanz. Die dominierenden Zwölftonmusiken, der Neoklassizismus und der Serialismus – alle drei in der gleichstufig temperierten Stimmung befangen – hielten die Suche nach anderen, „natürlichen“ und reineren Skalen im Unbewußten der Kunstmusik verborgen. Dies zeigte sich z.B. in der späten Rezeption der mikrotonalen Arbeiten des Außenseiters Harry Partch (Entwicklung einer 43stufigen Skala und Bau der entsprechenden neuen Musikinstrumente), der auf dem Festival mit mehreren deutschen Erstaufführungen vertreten ist, oder auch des Quellpunkts des musikalischen Minimalismus, La Monte Young. Wichtige Anregungen empfing dieses verborgene Bedürfnis durch die mikroskopische Arbeit von Giacinto Scelsi und James Tenney im Innern des einzelnen Tones.

Ein in diese Richtung weisender Anfang eines Neuen zeigt sich in den neben anderen Aufführungen des Festivals in den Werken der Komponisten Horatiu Radulescu (DEA des 5. Streichquartetts), Clarence Bahrloh, Wolfgang von Schweinitz (UA des Streichtrios von 1999), Edu Haubensak (DEAs von neuen mikrotonalen Klavierwerken), Dieter Jordi (DEA des Klavierduos mit Sechzehteltonklavier), Daniel Wolf (UA für Adapted Viola), Klaus Lang (DEA des 1. Streichquartetts) und Christophe Meierhans (UA).

Die die Konzerte eröffnenden Vorträge von Horatiu Radulescu, Klaus Lang, Dieter Jordi, Daniel Wolf und Wolfgang von Schweinitz finden einen zusammenfassenden Abschluß in dem Podiumsgespräch zu neuen Stimmungen mit Beteiligung der anwesenden Komponisten und Musikwissenschaftler am Sonntag nachmittag; eingerahmt von der „Tristan-Intonation“ für Orthotonophonium von Wolfgang von Schweinitz und „Bach in ptolemäischer, pythagoreischer und natürlicher Stimmung“, gespielt von Marc Sabat.

Initiiert wurde das Festival neuer Stimmungen, auf dem international renommierte Interpreten mikrotonaler Musik wie Didier Aschour, Tomas Bächli, Gertrud Schneider, Michael Moser, Marc Sabat und das Wiener Mollusken-Quartett spielen, von dem Komponisten Walter Zimmermann, der im vergangenen Herbst und Winter an der Hochschule der Künste Berlin Veranstaltungen zur Mikrotonalität und zu neuen Stimmungen anregte. Veranstaltet wird es vom Studio 99 Berlin in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Institut für Musikforschung, Preußischer Kulturbesitz und dem Institut für Neue Musik der Hochschule der Künste.